Karl-Heinz Klopf

WILHELMSHÖHER ALLEE, LANDGRAF-KARL-STRASSE

(aus der Serie Streets, 1996–fortlaufend)
2012
C-print, 56 x 40 cm

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Der Ausgangspunkt von Karl-Heinz Klopfs Serie Streets (1996–fortlaufend) ist seine Faszination für piktogrammartigen Darstellungen von Straßenzügen in Japan. Aus der typischen Gestaltung derartiger Standortspläne entwickelte er ein System, bei dem er Gebäude, in denen er wohnt, öfter besucht oder ausstellt, umkreist und die umliegenden Straßenzüge skizziert. Daraus fertigt der Künstler Plandarstellungen in der spezifisch japanischen Typologie und montiert sie auf ein Fenster des von ihm genutzten Gebäudes, das innerhalb der dargestellten Straßen liegt.
Der Ausblick aus dem Fenster bildet mit dem integrierten Plan das Motiv der jeweiligen Fotoarbeit. Da die Fokussierung auf das Zeichen am Fenster den Hintergrund unscharf erscheinen lässt, koppelt die Aufnahme nicht nur mehrere Räume, sondern auch Informationsebenen – von der exakten Form des Zeichens bis zur unscharfen Ortsangabe – miteinander.

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Adam Budak
DIE AFFÄREN EINES KARTOGRAFEN
ODER EIN ZIMMER MIT (LABYRINTHISCHER) AUSSICHT


Dem Knaben, der an Karten und Stichen Freude hat,
Scheint das Universum wie sein Verlangen grenzenlos.
Ach! Wie ist die Welt so groß beim Schein der Lampen!
In den Augen der Erinnerung ist die Welt so klein!


Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen


Aus einer aus mannigfaltigen Kodierungen bestehenden formalen Akrobatik erwächst ein komplexes Bild: eine sorgfältige Zeichnung der Nachbarschaft, eine Skizze einer ganz bestimmten Umgebung, in der der Künstler während einer seiner zahlreichen Reisen und Wanderungen gewohnt hat. Die räumliche Umgebung vor Ort wird minutiös als Piktogramm erfasst, in einer alternativen Sprache des Raumes, und als solches in einer Wohnung, die sich innerhalb des dargestellten Gebiets befindet, an der Fensterscheibe angebracht. Das fertige Bild ist eine Abfolge von Überlappungen und Überlagerungen, auf der mittels einer sehr persönlichen Karte, einem fast abstrakten Beleg für einen realen und physikalischen Ort, das Verhältnis zwischen dem Innenraum des Künstlerzimmers und dem Außen des urbanen Raumes verhandelt wird. Das Bild offenbart eine duale Struktur: Es besteht aus einem fotografischen Zitat der Wirklichkeit und einer grafischen Aufzeichnung eines aus ihr ausgewählten Territoriums. Das Fenster bietet eine Aussicht, die einen Rahmen für einen symbolischen Akt eines visuellen und geistigen Austausches von Erzählmustern und Handlungssträngen bezeichnet. Hier, auf seiner transparenten Oberfläche, wird eine Art elementare Geografie inszeniert, die Performance des Zeichnens einer ganz gewöhnlichen räumlichen Struktur, die sich unerwartet in ein enigmatisches Verwirrspiel unheimlichen Ursprungs verwandelt, in die Imitation einer Karte oder eines Plans, die die Sprache (ortsbezogener) Geografie missbraucht und sich deren Werkzeuge aneignet, um die Choreografie eines noch unbekannten und noch kommenden – möglicherweise imaginären – Ereignisses zu entwickeln.

Karl-Heinz Klopfs Projekt Streets, das er 1996 nach seiner Rückkehr aus Tokio, in Angriff genommen hat und welches er noch immer verfolgt, ist ereignishaft: Es birgt das Potential für ein Ereignis in sich und verspricht auf diese Weise eine vielschichtige Geschichte. Es ist ein Schlachtplan (oder ein Tatort?), und die (packende) Erzählung erinnert fast an einen Detektivroman, manifestiert die Gesamtheit der Beweismittel im Rahmen einer (privaten) Ermittlung oder einen zufällig aufgezeichneten Bruchteil der Wahrheit, mit den visuellen Mitteln der Zeichnung erfasst, wie in Greenaways Kontrakt des Zeichners, oder in Form eines (verborgenen) und unerwartet eingefrorenen Fotodetails in Antonionis Blow Up. Als räumliches Diagramm verbirgt es ein Geheimnis, ein fehlendes Glied von wahrhaft Hitchcock’schem Suspense, das die Fantasie durch eine gewisse unwissentliche Verfolgung eines Plots, der in die komplexe symbolische Sprache eines labyrinthischen und zu einer bestimmten urbanen Umgebung gehörenden piktogrammatischen Kodes eingeschrieben ist, anregt und fasziniert. In seiner Analyse des ägyptischen Labyrinths, wie es von Herodot beschrieben worden ist, bemerkt Hubert Damisch, dass sich, „jenseits bestimmter räumlicher oder bloß numerischer Grenzen, und wie klar verständlich und regelmäßig ihr Plan auch sei, jede gebaute Struktur für vielfältigste Durchquerungen eignet, die selbst labyrinthisch sind“. Anschließend erinnert er an Benjamin und dessen Interpretation von Poe und Baudelaire hinsichtlich des Gedankens, dass „die Wege, die der Stadtmensch, der Mensch der Masse, verfolgt, evozieren die unlesbare, nicht entzifferbare Gestalt eines Labyrinths, dessen unterirdische Präsenz das Bild der Stadt umso mehr verwischt, insofern als diese gleichförmig und ausgedehnt ist“. Damisch richtet seine Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Fenstern als einer der Blicke auf sich selbst, die die Stadt eröffnet – ein privilegierter Blick singulärer, individueller und privater Natur sogar, jener durch den sowohl die Straße als auch das Labyrinth der Stadt in den Raum hereinbricht, in dem das Subjekt wohnt. Fenster sind Orte, an denen sich Innenräume und Außenräume begegnen, wo das Innen auf das Außen trifft, und fungieren auf diese Weise als „Embleme oder Symbole eines zirkulierenden Flusses, der physischen, triebhaften Impulse, die für Großstädte charakteristisch sind, deren Glas nicht in der Lage ist, die Gewalt des Außen zu filtern“. In Klopfs Projekt werden sie zu Wandtafeln einer subjektiven Geografie, auf denen das urbane Labyrinth mit all seiner realen und fiktiven Topografie geistiger und körperlicher Ereignisse überbelichtet und entziffert wird, dienen aber auch als (optische) Instrumente gesellschaftlicher Kontrolle und sind (durchsichtige) Zeugen von auf den Straßen begangenen Verstößen und all der gesetzlich verbotenen und nicht autorisierten Nutzungen des öffentlichen Raumes, also wahrhaft Borges’sche Spiegel (urbaner) Rätsel.

In der Fotoserie des Künstlers jedoch ist die Phantasmagorie des Rätselhaften und des Außergewöhnlichen fest verflochten mit dem Gewöhnlichen und Elementaren. Seine Streets sind die Orte des Durchschnittsmenschen, „eines ganz gewöhnlichen Helden, also von allgegenwärtigen Figuren, die zu Tausenden und Abertausenden die Straßen bevölkern“ und denen Michel de Certeau sein Buch L‘Invention du quotidien (1980; 1988 in englischer Übs. als Practice of Everyday Life erschienen) widmet. Darüber hinaus scheint das Projekt aus einer räumlichen Praxis heraus entstanden zu sein, die die Sehnsucht danach, einen Raum zu zähmen mit der wahrhaft Borges’schen Illusion, „das Ganze zu besitzen“, verbindet auf dem Weg zur Schöpfung eines Wissens jenseits der Dimension des Örtlichen und des Intimen. Bei der Begegnung mit Klopfs Fotografien erinnert man sich sowohl an die verwunderliche Ekstase der Repräsentation, wie sie sich in der Pathologie des Maßstabs und der Proportionen ausdrückt, die sich in Borges’ Beschreibung eines perfekten quasi wissenschaftlichen und hypnotischen Versuchs spiegelt, die Grenzen der Wirklichkeit mit Worten abzustecken, als auch an eine Krise der Repräsentation, wie sie de Certeau in seinen Studien über das „Gehen in der Stadt“ analysiert, die mit der Aneignung der Erfahrung, Manhattan aus dem 110. Stock des ehemaligen World Trade Centers zu betrachten, beginnt: „Was der Betrachter wahrnimmt, ist eine geometrische Ekstase am Rande des optischen Zusammenbruchs: eine Welle der Vertikalen. Die Höhe verwandelt ihn in einen Voyeur, für den die Welt, von der er besessen war, nun als Text erscheint, der vor seinen Augen liegt.“ Doch für de Certeau ist diese „gewaltige Texturologie“ bloß eine Fiktion, eine Darstellung, ein optisches Artefakt, das einer von einem Raumplaner, Stadtplaner oder Kartografen erstellten naturgetreuen Nachbildung ähnelt. In seiner Kritik der Lust am „Sehen des Ganzen“, einer Panorama-Stadt als theoretisches visuelles Simulakrum, wendet er sich den ganz normalen Stadtfachleuten zu: den Spaziergängern, „deren Körper den guten und schlechten Passagen eines urbanen Texts folgen, den sie schreiben, ohne ihn aber lesen zu können“. Da er demnach räumliche Praktiken erkennt, erweitert Michel de Certeau die Bedeutung des Begriffes des Flanierens. Seine „Rhetorik des Gehens“ ist eine Strategie der Konzentration auf den Alltag und des Fokussierens auf das Gehen zum Zwecke der Überwindung der funktionalistischen Sicht der Stadt als Blick von oben. Hier wird das Gehen als eine bestimmte Art einer „poetischen Geografie“ urbaner Orte wahrgenommen, mit dem Ziel, „Mikroerzählungen“ zu konstruieren, die eine Verbindung zu dem sich bewegenden bzw. spazieren gehenden Körper aufweisen. Durch seine Beschäftigung mit Fragen der Repräsentation und seine Kartierung des Terrains seines zwischenzeitigen Wohnorts verhandelt Klopf das symbolische Vokabular einer doppelten Lüge, die man häufig mit der Ausarbeitung von Landkarten assoziiert. Der (urbane) Miniaturtext oszilliert zwischen Auslassung und Verfälschung: er synthetisiert und simplifiziert eine bestimmte gewählte Umgebung, filtert und zensiert sie folglich durch die Linse seiner eigenen Wahrnehmungsfähigkeit, seiner Absichten und eines Auswahlverfahrens, manipuliert sie gar, verschiebt ihre Geometrie und ihre Proportionen gemäß seiner eigenen Zielsetzungen und Anweisungen. Das auf diese Weise erlangte reduzierte und sublimierte „transponierte Bild“ wird zu einem autonomen Zeichen, einem Symbol an der Kreuzung zwischen Realität und Imagination, Information und Fiktion, im Schatten der Wahrheit und der Illusion von Gesamtheit.

Klopfs Serie Streets ist ein persönlicher Reisebericht und ein Tagebuch des Gehens, welches mithilfe eines Alphabets der Piktogramme verfasst ist von denen jedes einzelne ein autonomes räumliches Gedicht darstellt, das, in einem Gewebe von Netzwerken und unabhängigen Pfaden, von den Fragmenten von Bahnen und durch Veränderung von Räumen geformt worden ist. Hier ist das Gehen ein Raum des Ausdrucks: laut de Certeau ist es derProzess der Aneignung des topografischen Systems durch den Spaziergänger, doch ist es auch ein räumliches Ausspielen des Ortes und impliziert Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Positionen, während man sich zwischen den Orten bewegt. Ähnlich einer Postkarte aus einem fernen Reiseziel tragen Klopfs Fotografien die (anonyme) Inschrift From/To, was sowohl auf die Reise- (oder Marsch-) Route hindeutet, der sich der Künstler gestellt hatte, als auch möglicherweise auf die persönliche Beziehung, die mit diesem Zeichen der Präsenz und Indiz für einen geografischen Punkt angesprochen wurde. Es ist eine Art Nachweis für die Existenz einer Realität, ein grundlegender Aspekt einer Legende, die zusammen mit der Erinnerung und dem Traum einen symbolischen Mechanismus konstituiert, der die Topoi einer Stadt oder über eine Stadt organisiert. Einer Landkarte beigefügt, bietet eine Legende eine narrative Struktur und verleiht den verwendeten Symbolen und Kodes aus dem Bereich des geografischen Wissens Bedeutung. Sie ist ein Feld voller Namen und Symbole, Icons und Farben, die die Oberfläche eines topografischen Plans bedecken, eine Tafel, auf der alle Geschichten und alle Information gleichzeitig versteckt und offenbart sind. Klopfs Fotoserien sind die Sammlungen solcher Legenden und Mythen, die sowohl an japanische „Adressbücher“ mit deren überlebensgroßem narrativen Volumen gemahnen, als auch an die Embleme einer minimalen Stilistik, die vermittels ihrer Spannung zwischen transzendentalem Bestreben und formaler Einfachheit wirken. Indem sie immer von einem sehr präzise bestimmten Ort handeln, sind sie auch Sammlungen von Erinnerungen und Identitäten, Fingerabdrücken subjektiven Raumes und subjektiver Zeit gleich, Diagramme vergangener Ereignisse sowie flüchtiger Momente, Denk- und Erfahrungseinheiten, die hier prägende Gegebenheiten bei der Erzeugung einer räumlichen Organisation des Wissens werden. So sind die Piktogramme auf die Glasflächen von Fenstern aufgetragen, was sie wieder mit dem Außen verbindet, aus dem sie kommen und dem sie auch angehören. Sie manifestieren die Sammlung der Projektionen, Träume und Trugbilder eines (echten) Raumes, einem geistigen Außen, das der Künstler in seiner persönlichen Kartografie gezähmt und sich angeeignet hat, erfasst und in den vertrauten Rahmen eingebettet hat, jenseits aller denkbaren Vernunft und Kategorisierung. Was wir hier haben, ist ein Katalog ganz persönlicher Mythologien, eine Erinnerung und ein Traumbuch, das im Archiv eines hektischen Kartografen lagert.

In seinem Versuch der Erzeugung eines räumlichen Wissens erfüllt Karl-Heinz Klopf die mannigfaltige Aufgabe des Geografen und Kartografen. Er zeichnet seine eigene ganz persönliche Landkarte, die häufig als Modell gekennzeichnet ist, in dem Symbole für räumliche Phänomene in der „wirklichen“ Welt stehen. Mit dieser Tätigkeit betritt der Künstler das Terrain ontologischer und epistemologischer Fragen hinsichtlich der Fragen, was die „Realität” eigentlich sei, wie man sie darstellen bzw. interpretieren oder lesen könne. Hier ist die Landkarte ein ganz besonderer Text, eine verallgemeinerte Darstellung der Wirklichkeit, und befasst sich als solche laut Arthur H. Robinson mit vier Elementen (Vereinfachung, Klassifizierung, Symbolisierung und Induktion), die seine BenutzerInnen mit den räumlichen Informationen und Daten versorgen. Jacques Bertin, der eine Theorie der grafischen Semiologie aufgestellt hat, erarbeitet die Schemata für die Nutzung grafischer Symbolisierung, die den beiden Hauptfunktionen einer Landkarte dient: als Visualisierungstool und als Kommunikationsmittel. Diesen Zwecken wird mit drei Kategorien von Symbolen Rechnung getragen: Punkt, Linie und Fläche. Diese sind verantwortlich für die Hierarchie der Objekte untereinander, die Maße, Maßstäbe, Dichten und alle anderen Parameter, die der Kartograf in seiner akribischen Beschäftigung mit der Darstellung der Welt ordnet und folglich bei seiner Aufgabe „die Welt zu zeichnen“ anwendet. Wenn man seine Etymologie betrachtet, bedeutete geo graphein im Griechischen das Zeichnen (oder Schreiben) der Welt; Geografie ist die Geschichte einer Linie – und als solche nichts anderes als das Zeichnen und Interpretieren einer Linie. Klopf zeichnet eine Linie, während er durch die Straßen flaniert, die eine Zeit lang seine Nachbarschaft umfassen und bilden und entwirft auf diese Weise lineare Architekturen von ganz besonderer Sorgfalt, Präzision und Eleganz. Allein das Wort „Linie“ hat, wie Roland Barthes am Anfang von Reich der Zeichen betont, zwei Bedeutungen, eine grafische und eine sprachliche. Grafik und Sprache sind untrennbar mit dem Schreiben verbunden und stellen folglich eine ganz besondere Ausdrucksform von gleichzeitig verbaler und nonverbaler Natur dar. In den Worten von Gilles Deleuze und Felix Guattari „bestehen wir aus Linien [...] oder vielmehr, aus Bündeln von Linien, denn jede ist mehrfach“, und es ist unsere Aufgabe, unsere eigenen Fluchtlinien zu erfinden und sie in unserem Leben effektiv, jedoch subtil zu zeichnen. In Abhängigkeit vom Individuum oder seiner Gattung stellen Linien die Matrix menschlicher Navigation dar und beschreiben die Bahnen unseres Handelns. Die Autoren entsinnen sich der Studien von Fernand Deligny, der mithilfe von Land-karten, auf denen das Gehen, aber auch Wahrnehmungen, Gesten und Sprache durch „Abweichungslinien“ und „Gewohnheitslinien“ strukturiert sind, die Linien und Wege von autistischen Kindern transkribiert. Diese Linien stoßen ständig aufeinander, überkreuzen sich für einen Augenblick, verfolgen einander und drücken auf diese Weise eine gewisse Dynamik jener kartografischen Affäre aus, aus der unsere Landkarte besteht: Dergestalt ist das Rhizom, das bald der geometrische Ort der Sprache wird, ein Signifikant und eine Struktur, eine weitere labyrinthische Architektur, ein Rattenbau, der einen Körper ohne Organe („selbst eine abstrakte Linie mit weder imaginären Figuren noch symbolischen Funktionen“) darstellt. Was ist dein Körper ohne Organe? – Deleuze und Guattari untersuchen – „was sind deine Linien? Welche Landkarte bist du dabei zu erstellen oder neu zu gestalten? Welche abstrakte Linie wirst du ziehen, und zu welchem Preis, für dich und für andere? Was ist deine Fluchtlinie? Was ist dein Körper ohne Organe, der mit dieser Linie verschmolzen ist? Brichst du zusammen? Wirst du durchdrehen? Deterritorialisierst du? Welcher Linie dienst du, und welche erweiterst du oder nimmst du wieder auf?“ Bestehend aus sich gabelnden Linien und Krümmungen sind Klopfs Piktogramme subjektive Rhizome, Deleuze’sche Landkarten, die sowohl am Experimentieren mit dem Realen als auch an der Konstruktion des Unbewussten beteiligt sind und sich durch Potentialität und Flexibilität auszeichnen: „Die Karte ist in all ihren Dimensionen offen und anschlussfähig; sie ist abtrennbar, umkehrbar und kann ständig verändert werden. Man kann sie zerreißen, umdrehen, an jede Art von Montage anpassen. Sie kann von einem Individuum, einer Gruppe oder einer sozialen Formation überarbeitet werden. Man kann sie auf eine Wand zeichnen, als Kunstwerk begreifen, als politische Aktion oder als Meditation konstruieren.“ Hier liegt ein Wörterbuch der Strategien und Taktiken vor, ein Aufgebot an Verfahrensweisen, ein Garant für psychische Annehmlichkeit und Sicherheit, doch andererseits eine Angst, im Netzwerk der sich kreuzenden Linien verloren zu gehen, in einem Labyrinth multipler Eingänge in eine Sackgasse zu geraten oder Linien zu verfolgen, die sich niemals treffen ...

In Karl-Heinz Klopfs Fotoserie ist die Kennzeichnung oder Verfolgung eines Raumes verflochten mit einer Sehnsucht, Zeit festzuhalten. Sein From/To bezeichnet eine räumliche Beziehung, doch befasst es sich in gleichem Maße mit einer bestimmten Dauer, einem Zeitfluss. Jede einzelne Karte oder Zeichnung ist in gleichem Maße Zeugnis eines bestimmten Raumes wie ein Kalender der Reisen und Spaziergänge, gewissermaßen ein Reisetagebuch des Aufbrechens und des Ankommens. Sie dokumentiert eine Präsenz auf eine ähnliche Weise wie On Kawaras „Datumsbilder“ oder dessen „Postkarten“, die darauf abzielen, (persönliche) Zeit zu visualisieren und das Leben zu erfassen; oder Roman Opalkas malerische, fotografische oder tonale „Rituale“, während derer der Künstler fast buchstäblich den vorübergehenden Augenblick einfängt, indem er die Zahlen einschreibt und „ausspricht” und gleichzeitig in einer Serie von fotografischen Selbstporträts eine Landkarte der Zeit zeichnet. Klopfs Präsenz ist in erster Linie eine räumliche und reflektiert als solche, wie Gedächtnis und Erinnerung, Verlangen und Trennung funktionieren, doch nicht zuletzt offenbart sie eine Konstruktion privater Geschichte(n) und Affären – zwischen Hypothesen und Tatsachen, Wahrheit und Fiktion – in einem anhaltenden Prozess der
Übersetzung in eine überall vorhandene Sprache des kollektiven Bewusstseins.


Verwendete Literatur

Barthes, Roland. Empire of Signs. New York: Hill & Wang, 1983.
Berg, Stephan; Engler, Martin (Hrsg.). Die Sehnsucht des Kartografen. Hamburg: Kunstverein Hannover, 2004.
Bertin, Jacques. La Sémiologie graphique. Paris: Mouton, 1967.
Damisch, Hubert. Skyline. The Narcissistic City. Palo Alto: Stanford University Press, 2001.
de Certeau, Michel. The Practice of Everyday Life. Berkeley: University of California Press, 1988.
Deleuze, Gilles; Guattari, Felix. A Thousand Plateaus. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1996.


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