Karl-Heinz Klopf

MIND THE STEPS

Ort: Istanbul
Durchführung: 2005 (temporär), 9. Internationale Istanbul Biennale

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Die von Charles Esche und Vasiv Kortun kuratierte Biennale hatte die Stadt Istanbul selbst zum Thema. Für seinen Beitrag wählte Karl-Heinz Klopf in den steil abfallenden Straßen zwischen den einzelnen Ausstellungsorten der Biennale sechs unterschiedliche  Stufenformationen aus. In der Nacht wurden diese mit Bühnenscheinwerfern beleuchtet, wodurch sich die Stufen kontrastreich von der dunklen Umgebung abhoben.

Im Rahmen der Eröffnungstage der Istanbul Biennale initiierte der Künstler auf den bühnenartig ausgeleuchteten Stufenformationen Performances mit verschiedenen Musikern und einer Break-Dance-Gruppe aus Istanbul. Die Events bildeten einen intensiven performativen Raum, wo BesucherInnen der Biennale sich mit den spontan aus der Nachbarschaft herbei geeilten Menschen trafen.

(Mind the Steps, 2005; Bühnenscheinwerfer, Spotdurchmesser ca. 300 cm; 9. Internationale Istanbul Biennale)

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DEM LOKALEN BEGEGNEN
Pelin Tan über Mind the Steps – Karl-Heinz Klopfs Beitrag zur 9. Internationale Istanbul Biennale, 2005


Die komplexe und chaotische Struktur Istanbuls bietet viel Gelegenheit zur Erfahrung von Raum. Eine Komplexität, die sich auf die Heterogenität kultureller Gemeinschaften stützt, und eine räumliche Organisation, die meist in Form von inoffiziellen urbanen Praktiken existiert, verschafft den Einwohnerlnnen eine Vielzahl von Nutzungsmöglichkeiten des öffentlichen Raums. Hat man eine gewisse Vertrautheit mit dem Leben auf der Straße und den alltäglichen Gewohnheiten dieser Stadt erlangt, tritt man in eine ähnlich intensive Interaktion mit ihr wie ihre Bürgerlnnen. Verglichen mit den überregulierten Städten und öffentlichen Räumen West- und Nordeuropas stellt Istanbul gewissermaßen eine „offene Stadt“ dar, einen Ort, wo der öffentliche Raum von den Menschen sowohl offiziell als auch inoffiziell ständig neu ausgehandelt wird.

„lstanbul“ war das Thema der 9. Internationalen Istanbul Biennale. Im Mittelpunkt der Ausstellung standen die Möglichkeiten der Stadt; verschiedene Künstlerlnnen waren gebeten worden, ortsspezitische Arbeiten zu erstellen: „Wir wollten die Umgebungen, in denen die Arbeiten gezeigt werden, mit einbeziehen und die Kunst in einen Dialog mit verschiedenen Aspekten und Betrachtungsweisen der Stadt als solche treten lassen“, so die Kuratoren im Ausstellungskatalog. Mind the Steps von Karl-Heinz Kopf bestand aus solchen orts-spezifischen Arbeiten, verteilt auf mehrere Straßen; sie verbanden die Eigentümlichkeiten dieser Orte mit lokalen Erfahrungen und setzten Performances als Interaktionsmittel und Kommunikationsmodell zwischen Künstlerlnnen und Bewohnerinnen ein.
Karl-Heinz Klopf beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit der Beziehung zwischen kulturellen Strukturen und der Idee des Raums (Urbanismus/Archilektur), wobei sein Fokus auf den Schnittmengen sowie dem Potenzial von Räumen liegt. Die Produktion kultureller Praktiken einzelner Gemeinschaften fließt in einen öffentlichen Raum ein, der in Metropolen wie Istanbul von einer kulturübergreifenden Gesellschaft mit den unterschiedlichsten ethnischen, religiösen und regionalen Wurzeln gemeinsam genutzt wird. Kopfs „relationale Kunstform“ ist in der Lage, einen anderen Aspekt dieser Praxis aufzuzeigen. Als vergänglicher Kunst gelingt es ihr, eine übergreifende Kommunikationsform zu schaffen, die mit den sozialen Strukturen der Gemeinschaft spielt.Während mehrerer Aufenthalte in Istanbul studierte Klopf die Komplexität der städtischen Strukturen und ihre Beziehung zur heterogenen Kultur Istanbuls. Er analysierte die Wirkungsmöglichkeiten des Raums im Hinblick auf seine chaotische Organisation und seine wechselnde Nutzung durch die Bewohnerlnnen. Für Mind the Steps wählte er Gehwege bzw. Stufen in sechs Straßen des Bezirks Beyglu-Galata aus. Diese Stufen stellen durch ihre chaotische Anordnung und ihre unklaren Strukturen beim Gang durch die Stadt wahre Hindernisse dar, Klopf verwandelte diesen täglichen Hindernislauf in eine spielerische Performance. Während der Biennale kennzeichnete er die chaotischen Treppengebilde nicht nur durch die Beleuchtung mit Scheinwerfern als Bühnen, sondern organisierte in der ersten Woche des Festivals auch jeden Abend Aufführungen verschiedener lokaler Musikerlnnen und DarstellerInnen. Bei der ersten Veranstaltung traten auf den Treppenstufen vor einem Geldautomat in der Haci Ali-Straße zwei türkische Künstlerlnnen auf, die mit ihren Händen und Körpern rhythmische Klänge erzeugten. An einem anderen Tag standen die Stufen in der Yeni Çarsi-Straße lokalen Breakdancern und Rappern zur Verfügung. Auf die Stufen der Türkgücü-Straße lud er eine Gruppe von Musikerlnnen und Tänzerlnnen ein, die Zigeunermusik und -tänze aufführten, und an einem weiteren Abend trat eine lokale Band in der Horoz-Straße mit elektronischer Musik auf.
Die urbane Intervention des Künstlers konzentrierte sich auf den Alltag, auf einen wesentlichen Aspekt des Alltags von Istanbul – das Straßenleben –, denn als Bürgerlnnen der Stadt laufen wir tagtäglich an diesen Orten herum und haben ebenfalls Mühe, diese chaotischen und unvermittelt auftretenden Stufen zu meistern. Mit seinen einfachen Interventionen ist es Klopf jedoch gelungen, signifikante Merkmale dieser unvermittelten Treppengebilde hervorzuheben und sie vorübergehend in einem anderen lokalen Kontext zu reaktivieren – auf eine Art, wie sie uns in unserem Alltag nicht bewusst sind. Die Zusammenarbeit mit lokalen Musikerlnnen und Darstellerlnnen aus unterschiedlichen kulturellen Gemeinschaften führte nicht nur zu einer interaktiven Straßenintervention im öffentlichen Raum, wo Publikum und Anwohnerinnen sich vermischten, sondern vermittelte den Einwohnerinnen der Stadt auch trans-lokale Erfahrungen und neue Erkenntnisse. Hier existiert das Kunstwerk nicht mehr in Relation zum jeweiligen „Ort“, sondern als gesellschaftliches Engagement und Begegnungsstätte unterschiedlicher lokaler Gruppen. In diesem Kontext funktioniert die „relationale Kunstform“, wie Klopf sie praktiziert, als „orts-lokale“ Praxis.


Dieser Text erschien in springerin, Winter 2006