Karl-Heinz Klopf

Angelika Nollert
SIMULTANE SUBSTANZEN


Karl-Heinz Klopf beschäftigt sich in seinen Arbeiten mit dem Thema Urbanität und ihrer medialen Umsetzung. Seine künstlerische Strategie besteht in der Entwicklung von Formaten und Chiffren, um das Wesen von Städten lesbar zu machen. Klopf hat seine Motivation und Arbeitsweise selbst beschrieben: „In der Auseinandersetzung mit meiner Umgebung, die immer eine urbane war und die mich immer faszinierte, fokussiere ich die permanent empfundene, simultane Durchdringung und Anwesenheit unterschiedlichster Orts- und Raumsubstanzen. Es sind physische, mediale und mentale Substanzen, die gleichzeitig und in sehr hoher Dichte auftreten und ein dynamisches Konglomerat bilden.“

Eine solche simultane Durchdringung von unterschiedlichen ortsbezogenen Substanzen findet sich in der Arbeit Studio (2000). Diese von Klopf und Sigrid Kurz gemeinsam entwickelte Computeranimation wird als wandgroße Projektion in einer weißen Box gezeigt. Der Betrachter sieht, wie ein architektonischer Raum aus immer neuen Perspektiven gezeichnet wird, doch das Bild bleibt fragmentiert und kann sich auch in der Imagination nicht vervollständigen. Jede Einstellung wird von einem Timecode begleitet; der Countdown läuft, und die Konstruktionszeichnungen werden immer komplexer. Während der computergenerierte Film von den Geräuschen einer Baustelle begleitet wird, schreiben sich in kurzen Abständen E-mail-Botschaften in roter, blauer und gelber Schrift über das gezeichnete Architekturgerüst. Es handelt sich hierbei um persönliche Eindrücke von Städten von in der Animation anonym bleibenden Absendern. Die darin enthaltenen Hinweise auf frühere, mit den Adressaten ausgetauschte E-mails, wie „Hong Kong was everything you said it would be …“ oder „As we talked about megastructure …“ und Fragen wie „Are these issues urgent?“ oder wie ganz am Ende des Films „Due to a computer crash I lost your cities list. Can you send it again?“ implizieren eine bestimmte Vorgeschichte. Auf Klopf und Kurz als Adressaten verweist die erste Einstellung der Animation mit dem Titel der Arbeit Studio und der Angabe ihrer Adresse: „Wien. Waschhausgasse“. Die architektonischen Zeichnungen stellen also die Konstruktion ihres eigenen Ateliers dar. Die Absender agieren wie Satelliten, die einen Informationstransfer zu den Künstlern nach Wien vollziehen. Aber so bruchstückhaft wie die Hinweise auf die reale Gestalt des Ateliers bleiben, so können auch die Botschaften nur einen Teil der urbanen Realität beschreiben. Das Studio in Wien als künstlerische Produktionsstätte wird zum Äquivalent der Städte und deren kreativen Potentials.
Betrachtet man das Konvolut von Zeichnungen (1999/2000), die als Vorstudie zu dem Video verstanden werden könnten, so wird die besondere Qualität und Dynamik der Animation, in dem Raum und Zeit eine reale Verbindung miteinander eingehen, besonders evident.

Die in Studio angelegte Sammlung von Aussagen zur Befindlichkeit von urbanen Situationen findet sich auch in dem von Klopf und Kurz parallel entwickelten Netzprojekt expand.at (2000). Bereits der Titel verweist auf den erweiterten Kontext und größeren Maßstab, denn expand.at ist als work in progress konzipiert und besteht aus den drei Teilen Splaces, Words und Issues. Words ist eine Plattform für Interviews und Essays assoziierter Künstler, Urbanisten, Theoretiker und Kuratoren über urbane Projekte und Situationen, die eine Sammlung von Fachtexten bilden und die Arbeit der beiden Künstler kontextualisieren. Unter Issues präsentiert Kurz ihr seit 1997 entwickeltes Editing-Projekt zu Film, Medien und Kunst, das auch in Heftform erscheint und ihre Verbreitung außerhalb etablierter Distributionswege findet. Ihr geht es hierbei um das zentrale Thema, wie Handlungsräume definiert und erweitert werden können. Splaces von Karl-Heinz Klopf schließlich ist eine imaginäre Geschichte in, über und zwischen Städten und Architekturen, die den User über ein Navigationssystem zu bestimmen Zeitpunkten an bestimmte Schauplätze führt. Die vorgestellten (Stadt)Architekturen sind Stills u.a. aus seinen Videos Splace und Environments. Splace ist eine Wortschöpfung, die die Begriffe „Space“ und „Place“ miteinander verbindet, und auf die Überlagerungen und Ambivalenzen von Räumen und Orten verweist.

Das gleichnamige Video Splace handelt von Tokio und seinen Einwohnern. Während auf der Bildebene die Architekturen der japanischen Hauptstadt als Panorama und im Detail gezeigt werden, sind auf der Tonebene Aussagen über das Leben und Arbeiten in der Stadt zu hören. Die visuelle Dokumentation der Stadtarchitektur durch den Künstler ist ergänzt um eine subjektive Interpretation durch die interviewten Personen. Dem öffentlichen und dem privaten Raum der Stadt Tokio wird mit dem Film noch ein dritter, medialer Raum an die Seite gestellt. Aber erst mit Splace als Netzprojekt erhält der Betrachter die Möglichkeit, sich eigene Pfade durch den Raum zu suchen.

Die Rezeption Tokios in Splace führt zu einer weiteren Arbeit Klopfs. Das von 1996 bis heute fortlaufende Projekt Streets versammelt Fotografien, die auf den vielen Reisen des Künstlers entstanden sind. Die Fotografien zeigen den Blick aus Fenstern von Hotels und gelegentlich Ausstellungsräumen, in denen sich der Künstler aufhielt. Es sind Straßen, Häuser und Plätze abgebildet, die selten durch Menschen, Bäume oder Sträucher belebt sind. Auf den Fotografien sind ebenfalls die Umrisse grafischer Zeichen zu sehen, die auf den Fensterscheiben angebracht sind und an Piktogramme erinnern. Es handelt sich hierbei um reduzierte Ortspläne, die der Künstler von den Straßen und Plätzen um die jeweiligen Gebäude herum angefertigt hat. Der Auslöser zu dieser Arbeit war eine Recherche in Tokio, wo der Künstler diese Art von Orientierungsplänen als notwendig empfand, und so ist ihre Gestalt auch von japanischer Typologie beeinflusst. Die Serie der Fotografien bildet Orte ab, die in ihrer starken Ausschnitthaftigkeit nicht näher identifizierbar sind. Und auch die Pläne bieten in ihrer starken Vereinfachung und gleichen Bildsprache keine konkreten Hinweise. Der gezeichnete Grundriss und der gleichsam fotografische Aufriss liegen als zwei Informationsebenen übereinander, die einer Strukturierung des Raumes dienen, doch ohne ihre lokale Verortung abstrakt bleiben.

Zu einer tatsächlichen lokalen Verortung führt hingegen die spezifische Gestalt von Gehsteigen, die Klopf in seinem Projekt Mind the Steps (2005) für die 9. Internationalen Istanbul-Biennale thematisiert hat. Die besondere Topographie von Istanbul bedeutet starke Höhendifferenzen, die im Gehsteigbereich nach besonderen Lösungen verlangen. Um die steilen Wege entlang der Häuser auszugleichen, sind eigenartige und vielfach improvisierte Treppen- und Stufenformen entstanden. Die Stufen sind so uneinheitlich, dass diese – würde man sie aus ihrem Kontext lösen – wie abstrakte Objekte erscheinen. Es könnte sich ihrem Aussehen nach auch um Bühnenarchitekturen oder Displays handeln. Dies ist der Grund, warum Klopf sie nicht allein durch eine spezielle Beleuchtung mit Bühnenscheinwerfern als Objekt herausgestellt hat, sondern während der Eröffnungstage auch verschiedene Musik- und Performancegruppen eingeladen hat, um sie zu bespielen. Die improvisierte, individuelle und spielerische Bauweise der Treppen ist eine nicht allgemein bekannte Besonderheit der türkischen Metropole, die Klopf als eine Metapher des gebauten Istanbul betrachtet. Die Treppenstufen als charakteristische Architektur des Alltags werden zu einem besonderen Zeichen für die Stadt Istanbul, jenseits ihrer berühmten architektonischen Wahrzeichen.

Dass sich kulturelle Eigenheiten von Städten wesentlich aus Mikrostrukturen entwickeln, hat Klopf bereits früher in seinem Film By Way of Display (2003) thematisiert. Auch hier geht es um die Entstehung eigener Formen von starker räumlicher Präsenz, die auch eine repräsentative Wirkung entfalten. Inhalt des Filmes ist die „urbane Taktik“ am Beispiel der Betelnusskultur in Taiwan. Die Vermarktung von Betelnüssen und ihr Konsum vorwiegend auch durch Lastwagenfahrer haben das Bild der Straßen in besonderer Weise geprägt. Die geschätzten 100.000 Betelnussstände und Shops sind bereits von weitem an ihren „Pfauenzeichen“ aus bunten Leuchtstoffröhren und ihren vielen Blinklichtern erkennbar. Glas und Spiegel steigern noch die Helligkeit und liefern die Kulisse für die so genannten „Betelnut Beauties“, die in stets wechselnden Kostümen Nüsse, Zigaretten und Getränke an den haltenden Fahrzeugen verkaufen. Die glitzernde Gestalt der Architekturen und die auffällige spielerische Kleidung der jungen Frauen garantieren den anhaltenden Erfolg des informellen und flexiblen Betelnussgeschäftes. Diese offensiven Strategien haben gleichzeitig Systeme des Verschwindens entwickelt. So sind die Verkaufsboxen transportierbar oder werden auf Schienen gesetzt, um vom Straßenrand schnell in die Häuser gerollt werden zu können. Für die Präsentation seines Filmes hat Klopf eine ebenfalls ephemere Konstruktion aus Umzugskartons und einer offenen Glasbox entwickelt, mit der er eine zweite Bühne der Zurschaustellung erreicht.

Die räumlichen Interventionen in Taiwan und Istanbul jenseits offiziell gelenkter Strukturen sind Beispiele für anonyme, selbst organisierte und kreative Handlungen, die die Gestalt eines Landes oder einer Stadt stark beeinflussen. Klopf untersucht solche Phänomene, um das Potential der vorgestellten Orte als performativen Raum zu beschreiben. Die aus den behandelten Orten selbst abgeleitete Möglichkeit der Inszenierung wird dabei auch für die Struktur und Präsentation der eigenen Projekte wichtig. Orientierung, Vernetzung, Informationstransfer und die Herausbildung von Chiffren sowie die Gestaltung von Formaten und Displays sind wesentliche Faktoren, die die Rezeption von urbanen Strukturen und der künstlerischen Arbeit gleichermaßen ermöglichen.



Veröffentlicht in: Karl-Heinz Klopf: From/To (Bielefeld/Leipzig: Kerber Verlag 2007).

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